Entstehung des Wahrnehmenden Beobachtens
Die Entwicklung des Wahrnehmenden Beobachtens
Wahrnehmendes Beobachten wurde im engen Austausch mit der Praxis entwickelt. In verschiedenen Modellprojekten suchten Pädagog*innen, die in elementarpädagogischer Praxis oder an Hochschulen tätig waren, zusammen Wege der praktischen Umsetzung aktueller Bildungstheorien. Verbindend war dabei folgende Auffassung zur Praxis und Theorie frühkindlicher Bildungsprozesse (Schäfer 2003, 2011, 2019): In allen Projekten ging es nicht um die rein theoretische Implementierung bestimmter Auffassungen, sondern gemeinsam mit den beteiligten Menschen und Einrichtungen sollten Möglichkeiten einer zeitgemäßen Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen gefunden werden, die einer Partizipatorischen Didaktik gerecht werden.
Praxis und Theorie befruchteten sich dabei wechselseitig. Anhand des in der Praxis gewonnenen Materials wurden theoretische Überlegungen überprüft und neue Theorieansätze entwickelt, denen dann in weiteren Untersuchungen und Projekten nachgegangen wurde Dabei spielte die Beobachtung eine entscheidende Rolle.
Das Projekt „Bildung im Elementarbereich – Wirklichkeit und Phantasie“
Das Projekt fand in Thüringen statt und wurde vom dortigen Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit finanziell gefördert. Inhaltlich ging es um die Untersuchung frühkindlicher Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen. Damit verbunden war die Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte bei der Suche nach angemessener Begleitung dieser Bildungsprozesse. Es wurden vier Kindertageseinrichtungen von Oktober 2001 bis Dezember 2004 begleitet (vgl. Schäfer, Streudel & von der Beek, 2006).
Vor dem Hintergrund stetiger reflektierter Rückmeldungen der Praktiker*innen konnte so – im Verbund mit theoretischen Hintergründen – das Wahrnehmende Beobachten entwickelt werden. Es sollte sich den Blickwinkeln der Kinder annähern, die individuelle und soziale Lebenslage der handelnden Erzieher*innen einbeziehen und die Spezifität fachlich pädagogischen Handelns widerspiegeln.
Das Projekt „Professionalisierung Frühkindlicher Bildung“
Dieses Projekt wurde im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen von 2002 bis 2005 in Zusammenarbeit mit dem (damaligen) Sozialpädagogischen Institut NRW durchgeführt. Nach der Veröffentlichung der Bildungsvereinbarung NRW (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2003), sollten mit dem Projekt Hilfen für die Praxis bei der Umsetzung der Vereinbarung ermöglicht werden (vgl. Schäfer & Strätz 2005).
Die Beteiligten Einrichtungen wurden in einem Beratungsprozess begleitet. Dabei ging es um eine Weiterentwicklung der Bildungsarbeit im Hinblick auf die Grundsätze der Bildungsvereinbarung. Dabei kam dem Wahrnehmenden Beobachten sowohl auf einer theoretisch-systematischen als auch in einer praktischen Umsetzung eine zentrale Rolle zu.
Im Laufe der Zeit wurde immer deutlicher, wie das, was beobachtet und wahrgenommen wurde, und das, was die Fachkräfte selbst erlebten, empfanden und erinnerten, miteinander zusammenhing. Es ist schwer möglich, nur die Perspektive der Kinder wahrzunehmen, da wir meist in einer Interaktion sind und unsere Biografie stark darüber mitbestimmt, was wir als interessant am kindlichen Tun bemerken.
Dissertation „Beobachtung in Kindertageseinrichtungen“
In diesem Dissertationsprojekt beschreibt und begründet Antje Steudel (2008) das Wahrnehmende Beobachten als professionelle Methode für die pädagogische Praxis. Nach der Beleuchtung der theoretischen Zusammenhänge, werden in Steudels Arbeit die Grundgedanken auf die konkrete pädagogische Arbeit übertragen, an Beispielen exemplarisch dargestellt und reflektiert. Beobachtung wird als Prozess erkennbar, in dem wahrgenommene Phänomene als Ergebnisse eines gemeinsamen Handlungsprozesses von Beobachter*in und Beobachtetem entstehen.
Das Projekt „Kultur des Lernens-SOALQE“
In enger Kooperation zwischen WeltWerkstatt e. V. und dem Alternativen Wohlfahrtsverband SOAL e. V. in Hamburg wurde das Wahrnehmende Beobachten seit 2004 weiterentwickelt und ins Zentrum einer Qualitätsentwicklung für Kindertageseinrichtungen gestellt.
Claus Reichelt, bis 2016 Geschäftsführer des Alternativen Wohlfahrtsverband SOAL e. V., suchte Kontakt zu Wissenschaftler*innen, die ein Verständnis von Bildung und Pädagogik vertraten, das dem Menschenbild des Verbandes entsprach. Er fand die Mitarbeitenden der WeltWerkstatt Köln e. V. mit Gerd E. Schäfer, Angelika von der Beek, Antje Steudel und Hilke Isfort-Eden, die theoretische Grundlagen und mit ihren Projekten Erfahrungen in der Umsetzung einbrachten. Mit Wedigo Wolfram vom Institut für Selbstreflexive Pädagogik in Stuttgart wurde das Gründungsteam für das Projekt komplett.
Im Projekt Kultur des Lernens-SOALQE stehen Beteiligung, Verständigung und Beziehungsorientierung im Mittelpunkt des Geschehens. Gemeinsam mit Praktiker*innen wurde ein Qualitätsentwicklungsverfahren mit 5 Modulen entwickelt, die dazu beitragen, eine Partizipatorische Didaktik umsetzen zu lernen. Dabei wird viel Wert auf die eigenen Erfahrungsprozesse gelegt, die die pädagogischen Fachkräfte innerhalb des Qualitätsentwicklungsverfahrens auf unterschiedlichen Ebenen machen können.
Seit 2004 haben inzwischen mehr als 80 Einrichtungen teilgenommen. Das Wahrnehmende Beobachten bildet dabei den praktischen Kern, in dem die pädagogische Haltung, die pädagogische Praxis und die pädagogische Reflexion immer wieder zusammentreffen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden können.
Das Projekt „Lernwerkstatt Natur“
Das Projekt Lernwerkstatt Natur (Schäfer, Alemzadeh, Eden & Rosenfelder 2009; Schäfer & Alemzadeh 2012; Alemzadeh 2014) wurde von Mai 2006 bis Dezember 2011 als gemeinsames Projekt der Universität zu Köln und der Stadt Mülheim an der Ruhr realisiert. Die konzeptionelle Planung, die praktische Durchführung der pädagogischen Arbeit in der Lernwerkstatt Natur sowie die wissenschaftliche Begleitung des Projektes lagen in den Händen der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen des Lehrstuhls Frühe Kindheit und Familie der Universität zu Köln, unter der wissenschaftlichen Leitung von Gerd E. Schäfer. Träger der Lernwerkstatt Natur war und ist die Stadt Mülheim an der Ruhr. In der Parkanlage „Witthausbusch“ wurde eine „Lernwerkstatt Natur“ eingerichtet in der Kinder aus den Tageseinrichtungen die Möglichkeit hatten und haben, Natur in ihrer Vielfalt kennen zu lernen.
In der ersten Projektphase (Mai 2006 – Mai 2008) die von der Deutschen Telekom Stiftung sowie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert wurde, lag der Schwerpunkt der Arbeit auf der Beobachtung kindlicher Bildungsprozesse. Die zweite Projektphase (Juni 2008 – Dezember 2011) wurde außerdem von der Leonhard-Stinnes-Stiftung finanziert und hatte die Fort- und Weiterbildung der teilnehmenden Erzieher*innen zum Schwerpunkt.
Während der Fokus in den ersten Projekten darauf lag, dass sich pädagogische Fachkräfte in einer aufmerksamen Zurückhaltung üben, um den kindlichen Initiativen Raum zu geben, hat das Projekt Lernwerkstatt Natur dazu beigetragen, auch Antworten darauf zu geben, welche pädagogischen Handlungsweisen dazu beitragen können, auf kindliche Initiativen, Tätigkeiten und Ausdrucksmöglichkeiten sinnvoll zu antworten (vgl. Alemzadeh 2014).
Die Lernwerkstatt Natur auf den Seiten der Universität zu Köln
Die Lernwerkstatt Natur auf den Seiten der Stadt Mülheim an der Ruhr
Dissertation „Interaktionen im frühpädagogischen Feld“
Marjan Alemzadeh ging in ihrer Dissertation (Alemzadeh 2014) im Rahmen des Projekts Lernwerkstatt Natur den Fragen nach, wie kindliche Spiel- und Bildungsprozesse sich entwickeln und welche pädagogische Handlungsweisen Kinder darin unterstützen können diese aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Ganz im Sinne einer Partizipatorischen Didaktik hat sie sich die verschiedenen Ebenen angeschaut und beschrieben, die zu gelingenden Interaktions- und Verständigungsprozessen sowohl zwischen Gleichaltrigen, als auch zwischen Pädagogen-Kind-Interaktionen führen können.
WeltWerkstatt e.V.
Weltwerkstatt e.V. wurde im Jahr 2007 auf Initiative von Gerd E. Schäfer gegründet. Hier finden viele Mitarbeiter*innen aus den vorgestellten Projekten zusammen, aber auch andere Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen, die daran Freude haben, im regen Austausch das Bildungsverständnis weiterzudenken und zu entwickeln.
Ziel von WeltWerkstatt ist die Entwicklung einer frühpädagogischen Praxis, die es Kindern ermöglicht, schöpferisch und problemlösend zu lernen und ihre eigenen Fragen und Interessen zum Ausgangspunkt ihres Lernens zu machen. Dazu möchte WeltWerkstatt den Einrichtungen eine Orientierung geben.
WeltWerkstatt-Akademie
Der Weiterbildungskurs im Land Tirol/Österreich orientierte sich an den Modulen, die für das Hamburger Qualitätsentwicklungsverfahren Kultur des Lernens-SOALQE entwickelt wurden. Es war der Versuch, die bisherige jahrelange kontinuierliche und schrittweise Entwicklungsarbeit nun in ein unabhängiges Weiterbildungsprojekt zu übertragen. Die Weiterbildung wurde von Referent*innen aus der Qualitätsentwicklung Kultur des Lernens-SOALQE durchgeführt und erstreckte sich über rund zweieinhalb Jahre. Daran nahmen circa 20 Fachkräfte aus Schulen, Fachberater sowie Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen teil. Im Zentrum stand wiederum das Wahrnehmende Beobachten, durch das sich die emphatische Wahrnehmung der Kinder, die Selbstwahrnehmung der Fachkräfte und die didaktische Arbeit in den Einrichtungen verbinden ließen.
WeltWerkstatt Akademie bietet in Kooperation mit der Hochschule Emden/Leer eine berufsbegleitende Weiterqualifizierung für pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen bzw. elementarpädagogischen Einrichtungen an.